Hans-Joachim Leppelsack

Hörprozesse im Gehirn des Staren

Prof. Dr. Hans-Joachim Leppelsack
Von Staren und Menschen
eine kurze Dokumentation von Mit-, Gegen- und Nebeneinander.

Seit einigen zehntausend Jahren leben Stare in Europa. Sie sind hier seit so langer Zeit heimisch, dass sich in Südost-Europa der Rosenstar und in Spanien der Einfarbstar als eigene Arten abgliedern konnten. Sicherlich gibt es seit einigen Tausend Jahren ein Nebeneinander von Staren und Menschen. Der Star als Nahrungsquelle. Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Menschen den Star schon früh als Nahrung schätzten. Der Fang von Kleinvögeln für die Käfighaltung aber auch zum Verzehr war stets geübter Brauch und ist erst durch die moderne Gesetzgebung unterbunden worden. Aus prähistorischer Zeit liegen uns keine Belege vor. Aus römischer Zeit sind jedoch bereits archäologische Nachweise dafür vorhanden, dass den Staren Nisthilfen in Form von liegenden Tonvasen angeboten wurden. Diese wurden von den Staren als Höhlenbrüter angenommen. Anders als in modernen Zeiten dienten diese Nisthilfen nicht dem selbstlosen Tierschutz, sondern ermöglichten es den Menschen, bequem an die heranwachsenden Stare zu gelangen, um sie zu essen. Noch vor wenigen Jahren wurden in den Mittelmeerländern Stare verzehrt. Sie waren auf Märkten zu kaufen (1), aber auch als Pastete in Dosen erhältlich. Der Star als Schwarmvogel. Im alten Rom war einiges Wissenswertes über Stare bekannt. Plinius d. Ä. (2) berichtete über Stare bereits interessante Details. Er wusste, dass Stare in grossen Schwärmen vorkommen und berichtete über ihre Flugmuster. Dabei klingt seine Interpretation über die Steuerung des Gruppenfluges, über die sich Wissenschaftler lange Zeit den Kopf zerbrochen haben, recht modern. Er behauptet, dass die einzelnen Individuen in die Mitte drängen. Wir wissen heute, dass es insbesondere der enge Individualabstand und die gleichartige Flugrichtung sind, die dem fliegenden Schwarm die Regeln geben. Starenschwärme beträchtlicher Grösse gab es nicht nur im alten Rom, sondern in neuerer Zeit in vielen Grossstädten Europas. Von Hamburg, Berlin, Amsterdam, München, Rom, Köln, Brüssel, Paris, Lyon und Antwerpen sind Schlafplätze von grossen Starenschwärmen bekannt (3). Im Herbst sammeln sich Stare an solchen Schlafplätzen und bevorzugen dabei Orte, an denen sie sich vor Feinden sicher fühlen. Dabei lässt sich beobachten, dass Stare über weite Entfernungen zu einem solchen Schlafplatz ziehen. Dadurch kommen Individuenzahlen von einigen 10- bis 100-Tausend auf engem Raum zusammen.Die Schwarmbildung bedeutet, dass Stare im Herbst, zur Zeit der Obstreife, nicht einzeln, sondern in grossen Gruppen ihr Futter suchen. Verschiedene Obstsorten, insbesondere Weintrauben werden von Starenschwärmen dezimiert. Menschen versuchen daher seit langem, Starenschwärme zu vertreiben oder zu dezimieren. Optische Vogelscheuchen erweisen sich hierbei als wirkungslos, weil die Stare die Harmlosigkeit dieser Installationen bald erkennen. Als weitgehend wirkungslos erweisen sich auch akustische Vogelscheuchen, bei denen vielfach die Angstschreie von Staren mit grosser Lautstärke vorgespielt wurden. Scharlatanerie sind Geräte, die durch Ultraschall Stare vertreiben sollen, denn Vögel hören keinen Ultraschall. Bekannt wurden die Grenzstreitigkeiten zwischen Ungarn und Österreich zu Zeiten des kalten Krieges im Bereich des Neusiedler Sees. Hier wurden mit Flugzeugen die Stare aus den Weinbergen vertrieben. Das Ziel dieser Aktionen war es, die Schwärme jeweils ins Nachbarland zu scheuchen. Das war zwar durchaus erfolgreich. Aber nur so lange, wie der Nachbar sich nicht der gleichen Methoden bediente. Das Hin und Her an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn wurde zu einer Posse, die die Hilflosigkeit der Menschen beim Umgang mit Starenschwärmen charakterisiert.Wegen der beträchtlichen wirtschaftlichen Schäden, die grosse Gruppen von Staren anrichten können, wurden verschiedentlich auch Vernichtungsaktionen an Starenschlafplätzen gestartet. Dabei wurde vorzugsweise Dynamit eingesetzt, um die Tiere nach dem Eintreffen am Sammelplatz zu töten. Hierzu liegen Berichte aus Belgien und Nordafrika vor (4). Die Vernichtung von bis zu einer Million Stare zeigte aber nur einen kurzfristigen Effekt und war nach einem Jahr weitgehend kompensiert. Eine Änderung in der Auffassung von Tierschutz hat diesen Aktionen inzwischen ein Ende bereitet. Mystische Kräfte des Staren. Amüsiert lesen wir heute, welche mystischen Kräfte man in früheren Zeiten Tieren zugesprochen hat. So wurde auch eine Anzahl von Wirkungen dem Star zugeordnet. Hildegard von Bingen schreibt Anfang des 12. Jahrhunderts dem Star heilsame Wirkung zu. Pulverisiert soll er aufgebrochene Geschwüre heilen. Ein toter Star, über eine giftige Speise gehalten, sträubt nach der Aussage von Hildegard von Bingen seine Federn (5). Auch bei Gessner taucht 1557 in seinem Vogelbuch das Motiv der Vorsorge im Vergiftungsfalle auf. Er schreibt, dass ein Star, in der Speise genossen, denen hilft, die etwas tödliches getrunken haben (zitiert nach 6). In der Volksmedizin des 20. Jahrhunderts spielt der Verzehr von Staren durchaus noch eine Rolle. Ein Kind in der Oberpfalz (einer Region in Bayern) lernte ohne jegliche Mühen, wenn es ein Starenherz gegessen hatte (6). Die Liste der Verwendung von Staren in Volksmedizin und Volksglauben lässt sich nahezu beliebig verlängern. Der Weltbürger. Während der Besiedelung neuer Kontinente haben europäische Siedler häufig den Versuch unternommen, europäische Tierarten in ihrem neuen Siedlungsbereich heimisch zu machen. So geschah es auch mit dem Staren. In Nordamerika, Australien, Südafrika und Neuseeland, aber auch in Japan ist der Star inzwischen heimisch (7) . Der Star beansprucht gegenüber seinen Artgenossen kein eigenes Revier, lebt gesellig und kann dabei Kolonien bilden. Auf Grund dieser Tatsache war er bei den Ansiedelungsversuchen offensichtlich erfolgreicher als andere Vogelarten. In Nordamerika geht man inzwischen von einem festen Bestand von etwa 1 Milliarde Stare aus. Auf Grund dieser erfolgreichen Ansiedelung in verschiedenen Weltteilen gibt es inzwischen so viele Stare, dass man diese Art auf einer Rangliste der individuenreichsten Vögel hinter dem afrikanischen Blutschnabelweber auf Platz zwei einordnet. Der Star als Imitator. Stare imitieren fremde Laute. Sie fügen sie in ihren Gesang ein und erhöhen so dessen Vielfalt. In menschlicher Obhut lernen sie menschliche Sprachlaute. Diese Fähigkeit war bereits Plinius d. Ä. um die Zeitenwende bekannt, der in seiner Naturkunde berichtete, dass Stare auch zu sprechen lernen (2). Daraus müssen wir schliessen, das die Römer Stare in Gefangenschaft hielten und sie trainierten, menschliche Sprachlaute zu imitieren. In einem Kommentar berichtet Lenz 1856, dass zu seiner Zeit Stare häufig zum Sprechen und Pfeifen kurzer Melodien abgerichtet wurden. In heutiger Zeit bevorzugen wir exotische Vögel wie Papageien und Beos, um ihnen die Nachahmung menschlicher Sprache und anderen Lauten zu vermitteln.Ein besonderes Beispiel aus der Musikgeschichte stellt ein Star dar, den W. A. Mozart hielt (8). Diesen Vogel erwarb er, wie seinem Tagebuch zu entnehmen ist, am 27. Mai 1784. Zu dieser Zeit vollendete er sein Klavierkonzert Nr. 17 in G-Dur KV 453. Aus dem Repertoire des Staren übernahm er das Thema des 3. Satzes. Dabei ist unklar, wie der Star, den Mozart bei einem Tierhändler kaufte, diese Melodie lernte. Es wird angenommen, dass Mozart den Star vor dem Kauf schon häufig bei dem Tierhändler besucht hatte und ihm dort dieses Thema vorgepfiffen hatte. Mozart hing offensichtlich sehr an diesem Tier. Als es am 4. Juni 1787 starb, lud er seine Freunde zu dessen Beerdigung ein und widmete ihm ein Gedicht, das er an seinem Grabe vortrug. Die Tatsache, dass in derselben Woche Mozarts Vater Leopold gestorben ist, verwirrte viele Biographen. In ihrem Artikel „Mozarts Starling“ sprechen Meredith West und Andrew King Mozart ein besonderes Empfinden für die musikalische Ästhetik des Starengesanges zu.
Neuere Untersuchungen zur Imitation menschlicher Sprache durch Stare wurden in Japan und Nordamerika durchgeführt.

 

1/6 Fotos © Cordia Schlegelmilch 2004