Transformation urbaner Klänge durch Starengesang

Symposium Architektur ist Laut - zu akustischer Dichte in der Architektur und im öffentlichen Raum. Vortrag von Tilman Küntzel

BTU Cottbus Lehrstuhl Baukonstruktion und Entwerfen
Cottbus 29. – 30. 11. 2005

Das akustische Umfeld einer Stadt trägt maßgeblich zur Lebensqualität der Bewohner bei. Waren noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Straßen der Städte durch Pferdefuhrwerke und erste motorisierte Vehikel von Ohren betäubendem Lärm geprägt, ist es heute ruhiger geworden. Die Geräusche fließen und ein latentes Grundrauschen von ca.50 Hz kompensiert akustische Spitzen. So nimmt man wieder zunehmend den variationsreichen Gesang einer Amsel, einer Nachtigall oder die schwirrenden Pfiffe der Mauersegler war, die durch die Häuserschluchten jagen.

Da die beflügelten Tiere das Terrain der Lüfte besetzen, prägen sie, bei sinkendem Geräuschpegel in zunehmenden Maßen, die akustische Landschaft der Stadt. Die Städteplaner haben bisher dem akustischen Raum, der die bebauten Flächen einhüllt, nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Auch die Gebäudearchitektur misst diesem Aspekt nach außen keine Bedeutung bei, obwohl doch die Oberflächen der Fassaden die Akustik in den Häuserschluchten durch Resonanzbildung entscheidend beeinflussen. Lediglich die Architektur im Inneren der Gebäude schenkt der Akustik immer mehr Bedeutung, da es Funktionsbauten sind, in denen die Menschen bestimmte Aufgaben erfüllen oder
Massen gelenkt werden müssen. So werden mit Gegenschallmaßnahmen Flughäfen, Bahnhofshallen oder Fabriken ruhiger gemacht, oder die Produktivität der Mitarbeiter in Großraumbüros durch Schall isolierende Bodenbeläge und Zwischenwände gesteigert.

Bei aller Lärmreduzierung gewinnen kurze signalartige Klänge immer mehr an Bedeutung. Es sind jedoch entmusikalisierte Tonfolgen, die inzwischen an jeder Straßenecke zu vernehmen sind. Sei es das akustische Warnsignal eines rückwärts einsetzenden LKWs, das von einem Soundchip kommt, die akustischen Signale der Fußgängerampeln, piepsende Scannerkassen oder die in allen Bussen, U- und -Bahnen ertönende beruhigend bis erotisch anmutende Stationsansage und die unzähligen individuellen Klingeltöne denen wir in der Öffentlichkeit ausgesetzt sind. Fast jedes Produkt ist heutzutage mit einem auditiven Logo ausgestattet, ganz zu schweigen von dem, den Verkauf förderndem Klangdesign bei Rasierern, Staubsaugern, den Drehverschlüssen von Aftershave Flaschen
und der Geräuschpalette eines Automobils. Die Liste lässt sich unendlich fortsetzen, denn alles was am Produkt klingt wird gestaltet. Selbst das Essen geht durch die Ohren wie das „Crunch“ der Schokoriegel, Kekse, Kornflakes und Katoffelchips bis hin zum „Blubb“ des Rahmspinats.

Der Vogelsang ist zweifellos ein Teil dieser urbanen Klanglandschaft und an dem Prozess der Gestaltung des öffentlichen Klangraums beteiligt, indem er akustische Signale der Stadt in sein Gesangsrepertoire aufnimmt und in seinem variationsreichen Gesang zu integrieren, aber auch zu variieren versteht. In diesem Sinne ist er ein Katalysator, da er mit einer gewissen Musikalität die entmusikalisierten Signale transformiert und in die urbane Klanglandschaft zurückgibt. Der Vogelsang entwickelt sich somit dynamisch mit den Städten und bleibt dennoch Ausdruck von Wildleben und damit unkontrollierbar und als Solches bemerkenswert. Zudem ist er flüchtig und nicht immer da, wir müssen ihn entdecken und erlauschen. Wenn die folgende These zutrifft, sind
wir umgeben von einem Kulturgut, das es durch Beachtung zu würdigen und durch städtebauliche Maßnahmen zu fördern gilt:

Die Verarbeitung akustischer Signale beim Gesangserwerb des Star und dessen Gestaltungsvielfalt der individuellen Gesangsstrophen kann den Vergleich zur Kunstmusik, insb. durch Vergleiche der Klanggenerierung, – Modulation und – Colagierung des akustischen Materials in der Kunstmusik des 18. bis 21. Jahrh. und die daraus folgende Rezeption im Sinne abendländischer Musikästhetik bestehen.

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Clusterbildung an den Schlafplätzen. Stare bilden „Klangwolken“ wie hier am
Berliner Dom. Foto: © Tilman Küntzel 2003

Wie in Rom, Pisa oder Dresden gibt es auch im Zentrum Berlins einen Schlafplatz der Stare. Auf der Museumsinsel zwischen Friedrichsbrücke und Dom verbringen jedes Jahr zwischen Juni und September 1.000de Individuen in einem Kastanienhain kollektiv die Nacht. Dabei sind sie ganz und gar nicht stumm. Ein jeder hat sich sowohl im Schwarm, als auch in den Baumwipfeln zu behaupten und lautstark sein Terrain zu verteidigen. Hier werden zwar keine komplex strukturierten Gesangsstrophen vorgetragen, wie beim Werben eines Weibchens, aber doch aus dem individuellen Repertoire geschöpft, dass ein Star im Laufe seines Lebens angereichert hat, sodass das Klangbild einer Kakophonie gleicht, einem Cluster aus unzähligen Signalimitationen durchsetzt mit stareneigenen Lauten.

Doch bevor die komplette Berliner Starenpopulation sich in die Schlafbäume nieder lässt, sind die atemberaubende Flugbewegungen einzelner Schwärme zu beobachten, die an guten Tagen über dem Areal zwischen Alexanderplatz, Staatsoper und Monbijoupark umherziehen. Es ist eine Klangwolke aus 1.000den individueller Gesänge und Rufe, ein Konglomerat von akustischen Ereignissen, die in der Atmosphäre überhaupt nur zu finden sind.
Der Star ist für die Bioakustik zum Musterbeispiel physiologischer Forschung in Bezug auf Wahrnehmung und kognitive Signalverarbeitung avanciert. Als Kulturfolger hat er sich dem Menschen angeschlossen und beweist eine ungeahnte Adaptionsfähigkeit. Wie der Mensch in seiner Kulturgeschichte Erkenntnisse im Sinne der Mimesis aus Naturbeobachtungen ableitete, findet hier eine Umkehrung dessen statt, denn der Star imitiert die Geräusche der urbanen Umwelt. In seinem Gesang variiert er die erlernten Klangereignisse mit spezieseigenen Lauten. Im Prinzip gibt es nichts, was der Star nicht imitieren könnte: Frösche, Heuschrecken, Hundegebell, Klingeltöne, Spielkonsolen, Türquietschen, menschliche Sprache und mit Vorliebe die Lautäußerungen anderer Vogelarten. Im Laufe seines Lebens lernt der Star bis zu 70 Motive und kann bis zu 90 – 100 Gesangsbausteine im Kopf abzuspeichern. Die Imitationen werden sowohl einzeln vorgetragen als auch in den Gesang mit eingebaut. 1/5 aller Gesangsbausteine die ein Star singt sind, laut dem Biologen Dr. Jörg Böhner, im Prinzip Imitationen, wodurch der Gesang eine besonders vielfältige Qualität bekommt. Er kann sogar zweistimmig vortragen werden. Dafür besitzt der Star zwei Membranen, die separat voneinander eingesetzt werden können. Ein solcher facettenreicher Gesang trägt maßgeblich zur individuellen Charakterisierung eines Männchens bei, da jedes Männchen verschiedene Imitationen gelernt hat. Warum kann der Star all das? Der Grund ist: Starenweibchen sind ganz wild auf Männchen, die besonders variationsreich singen. Die Weibchen sorgen also direkt dafür, dass Stare so umweltoffen im Bezug auf die Akustik sind und möglichst viel aufnehmen.

Akustische Markierung

Die Verarbeitung akustischer Signale beim Star und dessen Kombination zu individuellen Gesangsstrophen legt für mich den Vergleich zur Formbildung in der Kunstmusik des 18. bis 21. Jahrhunderts nahe. Insb. Formenmerkmale wie „Colagierung, „Satzbau, „Improvisation“ und „Themenvariation“ sind Termini, mit denen Starengesang, sowie der Gesang der Singvögel im Allgemeinen, beschrieben werden können. Man spricht bei den werbenden Lautäußerungen von „Variationsvielfalt“ gerade auch dann, wenn zweistimmig vorgetragen wird, und bedient sich damit bereits einem Termini aus der Rezeption der Musikästhetik. Diese These brachte mich dahin, die spezifischen Lautäußerungen einzelner Individuen zu beobachten. Im Rahmen eines Klangkunst-Stipendiums, das ich im Jahre 2003 vom Berliner Senat für Wissenschaft, Forschung und Kultur für die Untersuchung dieser Thematik erhalten hatte, startete ich im Sinne einer klangökologischen Feldforschung eine bescheidene Bestandsaufnahme. In Abgrenzung zur wissenschaftlich relevanten Methodik, sollte hier nicht unter kontrollierbaren Bedingungen, also mit in Gefangenschaft lebenden Tieren gearbeitet werden, sonder explizit anhand Beobachtungen frei lebender Individuen im Berliner Stadtgebiet. Um die Transformation eines Klanges beschreiben zu können, muss das Ausgangsmaterial bekannt und der Klang den der Vogel imitiert identifizierbar sein. Dafür kann man versuchen akustisch zu erfassen, welche Imitationen sich in einer Gesangsstrophe befinden. Dann sollte die Phrase jedoch gesondert vorgetragen worden sein, denn das Heraushören einer Imitation die in ein Gesangsbaustein eingebaut ist, der innerhalb einer Strophe erklingt, ist so gut wie unmöglich. Die Imitierte Phrase ist in der Regel nur 0,5 bis 1 Sekunde lang und wird in schneller Abfolge vorgetragen die teilweise mit weiteren Lautäußerungen überlagert ist. Die Wissenschaft bedient sich bei der Identifizierung komplexer Lautäußerungen der visuellen Darstellung in Form von Klangspektrogrammen, in denen Klangereignisse in Ihrem Frequenzspektrum und im Zeitverlauf (xy Achsen) dargestellt werden.

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Ein „Unit für Stare zum Lehren von Tonfolgen“ an der Bruthöhle eines Stars im Botanischen Garten, Berlin-Dahlem 2005

Um auch durch Hinhören Gesangsbausteine (wieder-) erkennen zu können, entwickelte ich Elemente, mit denen ich nunmehr frei lebenden Staren an ihren Bruthöhlen Klänge anbieten kann. Diese Elemente, ich nenne sie „Units für Stare zum Lehren von Tonfolgen“ ähneln im äußeren Erscheinungsbild Brutkästen. Das Einstiegsloch jedoch ist ein kleiner Lautsprecher und die Landestange ist mit einem Schaltmechanismus versehen. Setzt sich ein Vogel auf diese Stange, löst er eine Tonfolge aus, die zeitgleich mit einem kleinen Lichtspiel aus verschiedenfarbigen Leuchtdioden abläuft. Angespielt auf die Neugier und den Spieltrieb der Vögel, soll nun dieser Vorgang, einmal von den Individuum selbst entdeckt, für interessant empfunden und aus Interesse immer wieder ausgelöst werden. Durch diese Interaktion würde sich die Lernfähigkeit erhöhen und der Star in kürzester Zeit Fragmente dieser akustischen Phrase gelernt haben. Ein, auch für die Wissenschaft sensationelles Ergebnis wäre es, wenn im nächsten Jahr ein Jungvogel dieser nunmehr „akustisch markierten“ Familie zu der Bruthöhle zurückkehrt und in seinem Gesang ein Klangfragment aus einem „Unit“ zu erkennen wäre. Dann nämlich hätte dieser Jungvogel durch den Gesang des Vaters die Melodie erlernt und in sein noch junges Repertoire aufgenommen. Damit hätte eine kontrollierbare Metamorphose eines Klangereignisses begonnen, die nunmehr auch über die nachfolgende Generationen sich fortsetzen würde.

Akustische Kartographierung

Der Stadtplan Berlins lässt sich bereits um einen Parameter erweitern, nämlichen den akustischen. Durch meine Beobachtungen aus dem Jahre 2003 kann ich das Auftauchen der Klangwolken der Starenschwärme bestimmen und kartographieren. So gibt es einschlägige Areale im Ostzentrum der Stadt, die sich sowohl an der Spree, dem Wasserweg den die Stare zur Orientierung beim Anflug zu den Schlafbäumen auf der Museumsinsel nutzen, als auch im größeren Umkreis um die Schlafbäume herum befinden.
Studien über Klangtransformationen einzelner Individuen in deren spezifischen Klangräumen lassen sich im Frühjahr zur Brutzeit anlegen. Denn nur dann sind die Gesänge einzelner Individuen zu hören, sodass sie kartographiert werden könnten. So kenne ich bereits einige Brutplätze, an denen die Männchen ein sehr eigenes Gesangsrepertoire zu erkennen geben und daran auch im Folgejahr identifizieren zu können. Eine umfassende Studie über eine große Anzahl von individuellen Sängern lässt sich wohl nur mit einer Gruppe von Beobachtern, etwa einer Studiengruppe innerhalb eines universitären Projekts realisieren, da es einfach zu viele Brutkolonien in den Parks und an den Gebäuden, in diversen Hinterhöfen und insb. an stillgelegten Industrieanlagen und Brachen in allen Stadtbezirken gibt, die mit Geduld zu beobachten wären. Eine Aufgabe zur Klangökologie im urbanen Raum, die der Realisierung harrt.

Tilman Küntzel ist Initiator des Projekts „Stare über Berlin- ästhetische Analogien des Vogelsangs“ das mit einem Symposium, Konzerten und Ausstellungen im September 2004 in Berlin stattfand. Im Botanischen Garten führt er eine Versuchanordnung mit sog. „Units“ durch, Elemente zum Lehren von Tonfolgen für Stare.