Handymusik. Das Handy zwitschert und der Vogel klingelt – im Alltag und in der Klangkunst

Frauke Behrendt

Handys sind klein und mobil, bewegen sich im öffentlichen Raum und machen dabei von Zeit zu Zeit komische Geräusche – das war bisher nur von Vögeln bekannt. Auch andere Eigenschaften und Verhaltensweisen von Mobiltelefonen, die im Großstadtdschungel zu beobachten sind, können eindeutig als Imitation von Vögeln identifiziert werden. Klingeltöne sind Zeichen von Kommunikation so wie Vogelgesang. Handys sind immer eingeschaltet: Sie werden maximal auf lautlos gestellt, um die eingehende Kommunikation wenigstens aufzeichnen zu können, wenn sie schon live verpaßt wird. Auch Vögel sind selbstverständlich immer „an“, sie sind lebendig. Zunehmend sind Handys nicht mehr nur für Kommunikation und Unterhaltung, sondern auch für die Navigation zuständig. GPS und location based services helfen dem Menschen bei der Orientierung wie dem Vogel der eingebaute Kompaß, der jeden Morgen mit Hilfe der aufgehenden Sonne neu justiert wird.

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Wenn sich mobile Geräte mit Hilfe kabelloser Verbindungen spontan zu Netzwerken zusammenfinden, wird dieses sogenannte Ad-hoc-Networking oft mit der Metapher der Schwarmbildung beschrieben. Ein musikalisches Beispiel für Handyschwärme ist tunA von der HCG um Arianna Bassoli1. Menschen, die sich am gleichen öffentlichen Ort befinden und auf ihrem Taschencomputer (und bald auf ihrem Handy) Musik hören, finden sich mit tunA spontan zusammen. Die mobilen Geräte bilden mittels Funkverbindung ein Netzwerk, das den Teilneh-mern ermöglicht, auch die Musik der anderen zu hören. Man selbst kann zwischen den umgebenden Musikstreams umherschalten, während andere der eigenen, aktuell abgespielten Musik lauschen. Dabei fungiert jeder Teilnehmende quasi als lokaler und persönlicher Radiosender. Es wird keine Musik heruntergeladen, es bildet sich vielmehr ein Schwarm musikliebender Menschen, die ihre Musik mit anderen teilen.

Das private Hörvergnügen beim Walkman2 wird hier zum geteilten Erlebnis, zur sozialen Interaktion. So wie sich Vögel spontan zu Schwärmen zusammenfinden, ermöglichen es bei tunA die kommunikativen Fähigkeiten mobiler Geräte sich ad hoc zu einem Schwarm mobiler Radiostationen zusammenzuschließen.
Wozu die Analogien zwischen Vögeln und Handys? Sie führen vor Augen, welche spezifische Materialität das Medium Mobiltelefon hat, was wiederum wichtig ist, um den Einsatz in der Klangkunst zu analysieren, kurz: das neue Genre der Handymusik zu verstehen. Denn die genutzte Technologie hat entscheidenden Einfluß auf die mit ihr realisierten Werke. Für die Handymusik bleibt festzuhalten: Das Handy ist mobil, immer eingeschaltet, digital und potentiell immer vernetzt. Erst die Kombination der vier Qualitäten macht dieses neue Medium aus. Mit den Analogien zwischen Vögeln und Handys hört es bei der Digitalität allerdings auf, obwohl das Mobiltelefon als digitales Kommunikationsgerät natürlich nur als Verlängerung des analogen menschlichen Körpers funktioniert.

Text.FM

Künstlerisch wird das Verhältnis von Vogelsang und Handys vielfältig aufgegriffen. John Cage hat mit Telephone and Birds3 bereits in den siebziger Jahren die Tradition von Telefon und Vögeln begründet.4 Die interaktive Installation Text.FM (2001) kombiniert Vogelgezwitscher mit dem Mobiltelefon und dem alten Medium Radio. Bei diesem Mediensystem der britischen Künstler Mathew Fuller und Graham Harwood können beliebige Textnachrichten an eine vorab bekannt- gegebene Telefonnummer gesendet werden. Ein Server zeichnet die SMS auf und wandelt sie mittels einer speziellen Software in Sprache um, die dann im Radio gesendet wird. Höhe, Typ und Geschwindigkeit der Stimme können dabei durch einen an die Nachricht angehängten Code bestimmt werden. Bei reger Beteiligung bildet sich im Radio ein endloser Sprachteppich aus den gesendeten SMS. Damit in Zeiten mit weniger Beteiligung auch etwas im Radio zu hören ist, läuft im Hintergrund eine Audiospur mit Vogelstimmen aus Großbritanien: „Because birds have this intricate media systems by which they declare territory and intention.“5 Auch mit Text.FM sollte ein Markieren von Territorien ermöglicht werden: per SMS konnten in der Stadt klingende Graffiti hinterlassen werden.

Aura

Auf einem öffentlichen Platz herumzulaufen und Vogelgezwitscher zu hören ist nichts Ungewöhnliches. Wenn sich der Vogelgesang aber verändert, je nach dem wie weit eine zweite Person von einem entfernt ist und elektronische Klänge das Einzige sind, was man außer dem Gezwitscher hört, befindet man sich in Steve Symons Aura. Im Werk des britischen Künstlers spaziert man auf einem öffentlichen Platz umher und hört dabei je nach der mit GPS ermittelten Position unterschiedliche Vogelgesänge und Klänge auf seinen Kopfhörern. Dazu wurden virtuelle Boxen auf dem Platz verteilt, deren Klang je nach Standort und Bewegung unterschiedlich zu hören war.

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Aura auf dem Platz Cathedral Gardens in Manchester auf der Futuresonic im Mai 2004

Das Werk funktioniert nicht mit dem Handy, sondern mit einem Taschencomputer und GPS. Die Entwicklung der mobilen Technologie hat gezeigt, daß Werke, die vor wenigen Jahren noch auf mobilen Kleincomputern liefen, mittlerweile auf jedem Mobiltelefon funktionieren. Entwicklungen im Bereich mobiler Digitalkunst und -musik fin-den sich deshalb häufig zuerst auf wenig verbreiteten, aber leistungsfähigeren Plattformen. In Aura wird nicht mit der kommunikativen Funktion gearbeitet, die ein Mobiltelefon bieten würde. Das Werk ist eher der Gattung der GPS-Sound Art6 bzw. der Locative Media7 zuzurechnen. Ein weiteres Beispiel für diese Gattung ist das bei der Ausstellung Ohne Schnur8 in Cuxhaven gezeigte Drift von Teri Rueb.
Mit Kopfhörern und Taschencomputer ausgestattet war man eingeladen, eine ausgedehnte Wattwanderung zu unternehmen, um dort Geräusch- und Textinseln zu finden. In dieser poetischen Auseinander-setzung mit sich überlagernden geographischen und kommunikativen Räumen mischten sich die geographisch festgelegten digitalen Klänge mit den Umweltgeräuschen meist, dem Schreien der Möwen.

Dialtones

„While the sound of one texture resembles a forest full of twittering birds, another consists of pure drones, and recalls the sound of a pipe organ.“9 Mit diesen Worten beschreibt Golan Levin die Klangstruk-turen seiner ausschließlich aus Klingeltönen bestehenden Symphonie Dialtones. Das im Konzertsaal zu vernehmende Zwitschern von Vögeln entstand aus dem Klingeln der Handys des Publikums, die gezielt angerufen wurden. Dialtones. A Telesymphonie von Golan Levin wurde 2001 auf der Ars Electronica aufgeführt. Für diese Handy-Symphonie mußten die Zuschauer vor Beginn des Konzerts ihre Handynummer registrieren lassen. Daraufhin bekamen sie einen speziellen Klingelton auf ihr Handy geschickt und eine Platznummer zugewiesen. Während des Konzertes hatte der Dirigent dann gezielten Zugriff auf jedes einzelne Instrument seines Ensembles und dessen spezifischen Klang. Neben dem Ensemble der Handybesitzer gab es auch einen Solisten, der im II. der drei Sätze alleine auf zehn Mobiltelefonen musizierte.
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Ein Handy-Solo im Konzertsaal

Erstaunlich war, welche verschiedenen Klänge vom Solisten auf den Handys erzeugt werden konnten und wie viele unterschiedliche Klangtexturen aus dem monophonen Klingeln der 200 Mobiltelefone entstanden. Die Inszenierung war in vielen Elementen in der Form einer klassischen Symphonie gehalten und fand im Kon-zertsaal statt. Levin spielte mit dem Tabu klingelnder Handys an einem Ort der Hochkultur.

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Wählt die Signale!

Auch unabhängig von orni-thologischen Bezügen nutzen Künstler das Mobiltelefon als Instrument. Sie thematisieren dabei gesellschaftliche Verän-derungen, die durch die Ver-breitung des Handys stattfin-den, beispielsweise neue Be-ziehungen von Individualität und kollektiver Aktion. Denn das Handy ist nicht nur der ty-
pische Begleiter des mobilen Individuums, sondern ermög-licht auch neue Formen gemeinschaftlichen Handelns. Beim Radiokonzert Wählt die Signale! der Künstlergruppe Ligna konnten 144 in einem abgeschlossenen Raum liegende Mobiltelefone mit je unterschiedlichen Klingeltönen angerufen werden. Das Ergebnis war im Radio zu hören. Ole Frahm, Michael Hüners und Thorsten Michaelsen inszenierten das Werk im April 2003 in der Hamburger Kunsthalle. Jeder Stadtbewohner hatte die Möglichkeit, die zuvor veröffentlichten Telefonnummern der Handys zu wählen. Ein Mikrophon über dem handygefüllten Podest zeichnete die Töne aktuell klingelnden Mobiltelefone auf, der entstehende Klangteppich wurde live im lokalen, freien Radiosender FSK gesendet. Den Künstlern ging es nicht darum, daß man sich eine Handy-Skulptur ansehen konnte (die Handys lagen in einem abgeschlossenen Raum); das Ziel war, so Ole Frahm, vielmehr ein „interaktives Radiokonzert“11. Weder die Künstler noch die anrufenden Teilnehmer hatten genaue Kontrolle über den Ablauf des Konzertes. In Zeiten, in denen viele Menschen gleichzeitig musizierten, war es nicht mehr möglich zuzuordnen, welchen der Töne man selbst durch seinen Anruf ausgelöst hatte. Die Teilnehmer waren über die gesamte Stadt verstreut und musizierten trotzdem gemeinsam, indem sie die Handys in der Galerie zum klinge(l)n brachten.

Die Klingeltöne für dieses Radiokonzert wurden auf Grundlage des Raumklanges der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle komponiert und bildeten einen zueinander passenden Pool von angenehmen, ambient-artigen Klängen. Aus dem alltäglichen Leben sind Klingeltöne ganz anders bekannt: Das wilde Geklingel ist in allen möglichen und unmöglichen Situationen zu hören.

Kultur der Klingeltöne

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Ein Schwarm finnischer Handyvögel. Die Vögel wurden von finnischen Kindern aus Handys und Pappe gebastelt, der ganze Schwarm saß auf einem großen gemalten Baum. Das Vogelgezwitscher war nichts anderes als das unregelmäßige Piepsen der Mobiltelefone.

Das Klingeln eines Telefons, auch eines mobilen, hatte ursprünglich die Funktion, einen eingehenden Anruf zu signalisieren. Wechselbare Klingeltöne waren eigentlich eine Anwendung für Geschäftsleute: Manager sollten immer wissen, ob das eigene Handy gerade klingelt. Von der Industrie ungeplant, lange Zeit unterschätzt und ungenutzt, hat dieser Sektor eine enorme Eigendynamik entwickelt. Mittlerweile ist der Verkauf von Klingeltönen ein Riesengeschäft, dessen Umsatz  sogar denjenigen der Singles überholt hat.12 Längst werden aber nicht mehr nur bekannte Hits in Form von Klingeltönen recycelt, sondern es entstehen aus beliebten Klingeltönen selbst Chartbreaker. Anfangs hat MTV mit einem Werbeclip für das kostenpflichtige Herunterladen von Klingeltönen von seiner Internetseite geworben. Der in diesem Video verwendete Klingelton wurde so beliebt, daß die eigens gegründete Band Mr. Mobile den Song Call Me daraus produzierte. Das Hören, Kaufen, Teilen und Komponieren von Klingeltönen ist heute ein wichtiger Bestandteil der Freizeit besonders von Jugendlichen. Es hat sich eine eigenständige Kultur der Klingeltöne entwickelt.

Wie selbstverständlich nicht nur der Umgang mit Klingeltönen, sondern auch der Zusammenhang zwischen Vogelsang und Mobiltelefonen bereits ist, konnten Besucher der Expo im Jahr 2000 in Hannover erleben: Im finnischen Pavillon gab es einen ganzen Wald voller zwitschernder Handy-vögel.

Der Vogel klingelt

behrdt6Neben den Analogien von Vögeln und Mobiltelefo-nen sowie der Kombination von Vogelsang und Handys in Werken der Handymusik läßt sich diese Affinität also auch im Alltag beobachten. Vogel-stimmen werden als Klingelton genutzt, und das nicht nur von Vogelliebhabern. Die immer besser werdende Qualität polyphoner Klingeltöne läßt einen tatsächlich den Vogelkäfig suchen, wenn ein solches Handy zu zwitschern beginnt. Passionierte Vogelbeobachter können sogar ornithologische Infos als SMS-Newsletter abonnieren.13

Was die Kulturwissenschaft bei den Menschen beobachtet – das Imitieren von Vögeln mit Hilfe des Mobiltelefons –,­beobachten Ornithologen umge-kehrt bei Vögeln schon seit Jahren: immer häufiger imitieren sie Handyklingeln, eine Vielzahl bekannter Klingeltöne sind ins Repertoire des Vogelsanges eingegangen. Selbst in Urlaubsberichten ist mittlerweile die Rede von Handy-Vögeln.14 Das Handy zwitschert und der Vogel klingelt – Handymusik zwischen Konzertsaal und Vogelnest.

Anmerkungen
1) tunA wird von Arianna Bassoli und der Human Connectedness Group entwickelt, vgl. http://www.medialabeurope.org/hc/projects/tuna/
2) Schon der selbsternannte Erfinder des Walkman, Akio Morita von Sony konnte sich nicht vorstellen, daß Leute Lust hätten, alleine Musik zu hören – die ersten Geräte hatten zwei Kopfhörer-anschlüsse. Schnell setzten sich aber die Varianten mit nur einem Kopfhörerausgang durch: der Siegeszug des mobilen, privaten Musikkonsums.
3) Das Ausgangsmaterial des Stückes waren Telefonaufnahmen und Aufnahmen von Vogelgesang. Vgl. John Cage, Electroacoustic Works, Webseite des Verlages Peters, http://www.edition-peters.de/cage/cage_electroacoustic.html (Stand 8. 8. 2003)
4) Das 30-minütige Werk wurde unter der Leitung von Merce Cunningham 1977 zum ersten Mal aufgeführt. Vgl.: Telephone and birds Webseite John Cage Database,
http://www.johncage.info/workscage/telephonesbirds.html (Stand 08.08.2003)
5) David Mandl: Harwood Interview: Text FM. In: Rhizome,  www.rhizome.org/object.rhiz?4538, 14.06.2002
6) So bezeichnet das diesjährige Symposium der International Society for Electronic Arts (ISEA) bei-spielsweise ihr Panel zum Thema. Vgl. http://www.isea2004.net/mainframe.php?id=HEL_CNF
7) Diesen Begriff versucht eine Gruppe von Künstlern zu etablieren. Vgl. http://locative.net/
8)Die von Katja Kwastek kuratierte Ausstellung mit Symposium Ohne Schnur. Kunst und drahtlose Kommunikation fand im April 2004 in Cuxhaven statt, vgl. http://www.ohne-schnur.de
9) Webseite von Golan Levin zum Werk: http://www.flong.com/telesymphony/index.html
10) Vgl. Webseite von Golan Levin zum Werk: http://www.flong.com/telesymphony/index.html
11) Programmheft Wählt die Signale!
12) Vgl. Michael Klarmann: Haste Klingeltöne…, in: Telepolis. Magazin der Netzkultur,
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/16980/1.html, 18.03.2004
13) “Bird Text Alert. Bird news to your mobile phone from BirdGuides. […] How would you like to get messages like this sent to your mobile phone: 05/08 20:28 HERTS: Least Sand., Startops End Resr, Tring: moulting ad in SW corner at 20:20 & showing very well SP920136 within minutes of a bird like this being reported?” Vgl. http://www.birdguides.com/birdnews/smshome.asp
14) “Doves lived on the terracotta-tiled roof of the outhouse, alongside a strange species we nicknamed the Mobile Phone Bird (or Nokia for short) because of the large number of ring tones he seemed to be able to imitate.” http://travel.guardian.co.uk/activiti