Lauterzeugung bei Vögeln

Helwig Brunner

physio
Vögel besitzen das komplizierteste Atmungssystem unter den Wirbeltieren. Außer den aufgrund eines speziellen Bauplans besonders efizient arbeitenden Lungen verfügen sie über Luftsäcke für die Luftventilation innerhalb des Körpers. Dieses besonders ausgestattete Atmungssystem, das in erster Linie als Anpassung im Zuge der Erlangung des Flugvermögens zu sehen ist, ermöglicht es den Vögeln, in oft überraschend großer Lautstärke und bisweilen minutenlang ununterbrochen zu singen. Das lauterzeugende Organ ist im Gegensatz zum Menschen nicht der Kehlkopf (Larynx), sondern der sogenannte Stimmkopf oder Syrinx, der sich an der Gabelung der Luftröhre in die beiden Bronchien befindet Der Stimmkopf ist mit elastischen Membranen ausgestattet, die wie Stimmbänder durch einen Singmuskelapparat gespannt werden können. Einzeltöne werden oft in außerordentlich rascher Folge moduliert, bis zu 200 Tonhöhenwechsel (Frequenzmodulationen) pro Sekunde sind bekannt, die sich durchaus mit der Physiologie der Synnxmuskulatur erklären lassen. Interessant ist auch, daß die Syrinxhälften unabhängig voneinander arbeiten können, wodurch zweistimmige Lautaußerungen möglich werden (Details z. B bei BEZZEL & PR1NZ1NGER 1990).

Wenn man die Fähigkeit zur Musik per defimtionem auf den Menschen beschrankt, dann kann Vogelgesang keine Musik sein. Wenn man aber die Musik vom phänomenal arischen her definiert, kommt man nicht darum herum, zumindest die komplizierten Gesänge systematisch hochstehender Vögel als Musik zu bezeichnen. – Vögel und Säugetiere stammen von gemeinsamen Vorerfahren ab und haben nicht nur Verschiedenheiten wie die der Fortbewegung entwickelt, sondern auch Gemeinsamkeiten wie die der Warmblutigkeit und den Ausbau der akustischen Kommunikation. Wegen der formalen Übereinstimmung lassen sich Vogelgegesänge und menschliche Musik als parallele Bildungen betrachten. Beim Gesang (…) vieler Vogelarten kann man deshalb im gleichen Sinne von Musik sprechen, wie man die koordinierten, der Fortbewegung im Wasser dienenden Bewegungen von Enten und Menschen „schwimmen“ nennt. KNEUTGEN in BLUME (1979)

(…) Den Überlegungen TEMBROCKs (1978) folgend, sind Vogelgesänge als typische Phänomene des Distanzfeldes, jenes „äußeren“ Kommunikationsfeldes also, in dem der informationelle Zusammenhang zwischen Individuen nur auf akustischem, nicht also etwa auf taktilem, olfaktorischem oder optischem Weg hergestellt werden kann, zu bezeichnen. Solche, in das Distanzfeld gerichtete Schallsignale, können entweder dazu dienen Empfänger in das Nah- oder Kontaktfeld zu holen (affine Laute), oder aber dazu, sie im Distanzfeld zu halten, etwa zur Wahrung territorialer Ansprüche. Insgesamt enthalten die komplexen Muster der Gesänge, die in einer Informationsmetrik hohe Werte erreichen können, nur ganz bestimmte elementare Aussagen, die Artzugehörigkeit, Geschlecht, Individualität und motivationalen Status betreffen. Vogelgesänge dienen also einer steckbriefartigen Selbstdarstellung des Individuums, das sich auf diesem Weg in freundlichem oder feindlichem Sinn anzeigt. Auf überindividueller Ebene liegen die Verhältnisse in vielen Punkten analog hier haben Vogelstimmen eine die Sozietät oder Population festigende und nach außen abgrenzende Funktion, die Ausbildung von Regiolekten gehört hierher.

aus: Helwig Brunner
DER NACHTIGALLENGESANG IN DER EUROPÄISCHEN KUNSTMUSIK
– Wesen, Möglichkeiten und Grenzen der musikalischen Umsetzung eines natürlichen Klangereigneisses
Beiträge zur Elektronischen Musik 3 1994
Hrg. Institut für Elektronische Musik an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz