Vorwort

Tilman Küntzel

Im Dialog mit den Vögeln ist der Titel einer Installation, die ich 1995 realisiert habe und die dann eine ganze Werkreihe in meiner Arbeit begründet hat. Darin beschallte ich von einer Terrasse aus eine von Vögeln frequentierte Baumgruppe mit Aufnahmen meines Pfeifens, Vogelstimmen imitierend. Damit simulierte ich das, was ich schon in meiner Kindheit tat: im Dialog sein mit einem Vogel, einem Kanarienvogel namens – wie kann er in einem gutbürgerlichen Haushalt der fünfziger/sechziger Jahre anders heißen als – Hansi. Ich übte mich im Duettieren mit dem Tier bereits in so frühen Jahren, daß ich eine bestimmte Technik, ein grollendes Trillern durch Einsaugen der Luft, perfektionierte und damit das Klangbild eines Kanarien-vogelgesangs gut imitieren konnte.
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Ob Tonkunst oder Klangkunst, bei der Entwicklung künstlerisch/ästhetischer Formen greift der Mensch auf die Wahrnehmung der eigenen Sinneseindrücke zurück. Aber, daß das Wildleben dieses gleichermaßen tut, ist uns kaum bewußt. Singvögel, allen voran die Stare, sind Probanden, an denen sich diese Wechselbeziehung zwischen intuitiv-künstlerischen Ästhetisierungsprozessen erkennen läßt. So wie ich den Kanarienvogel imitierte, imitieren Singvögel ihr akustisches Umfeld, in dem sie leben. So wie Musiker virtuos improvisieren, bilden auch Singvögel ihren Gesang durch scheinbar virtuose Abfolgen erlernter Phrasen. Diese Wechselbeziehungen beleuchten die Beiträge dieses Buches aus verschiedenen Blickrichtungen und erläutern einzelne Systeme analytisch.

Das Projekt STARE ÜBER BERLIN ist gewachsen, seit ich es im April 2003 mit der Bewerbung um den Berliner Klangkunst-Preis begann. Gleichermaßen ist auch diese Publikation von einem Programmheft zu einem Buch angewachsen: Fast alle beteiligten Künstler und Wissenschaftler haben sich zu neuen Werken anregen lassen. So ist nahezu jeder Beitrag eine Uraufführung, sei es als Konzert, als Installation oder als Wortbeitrag. Dafür möchte ich allen Beteiligten danken. Insbesondere danken möchte ich Herrn Dietmar Todt, der als Supervisor des Symposiums mit Offenheit und Geduld ein Bindeglied zwischen künstlerischer Intention und wissenschaftlicher Relevanz darstellte. Gedankt sei auch Adrienne Goehler, ohne deren visionäre Kraft und Vertrauen dieses Projekt in dieser Form sicher nie zur Realisierung gekommen wäre.

Tilman Küntzel August 2004