Units für Stare zu Lehren von Tonfolgen – organische Transformation urbaner Klänge

Tilman Küntzel

Aus dem Brief Alexander des Großen an seine Mutter Olympiades:

Danach führten wir unser Heer fort und kamen zu großen, prächtigen und wunderbaren Palästen, die der mächtige König Xerxes einst gebaut hatte. Darin fanden wir solch seltsame Bauten, die wir vorher nie gesehen hatten. Wie prächtig die Gemächer waren und wieviel auch immer darüber zu schreiben wäre, das lasse ich bleiben wegen eines noch größeren Wunders, denn in der Natur (-wissenschaft) steht es beschrieben, daß eine größere Erregung die kleineren vertreibt. Also folge ich der Natur und lasse ihretwegen die Beschreibung sein, denn im selben Palast befand sich eine Vielzahl von Gefäßen aus Gold und Edelsteinen, die  meisterlich an den Mauern gehängt waren, viele davon auch eingemauert. Darin hielten sich Stare und Sittiche und andere fremde Vögel auf. Die Stare und Sittiche, die darin lebten, konnten alle von Natur her die menschliche Sprache sprechen. Sie konnten auch alle vergangenen Dinge und Geschichten erzählen, in welchen Ländern auch immer sie geschehen waren. Auch sage ich, daß sie zukünftige Sachen kundtun konnten und vielen Königen und auch Fürsten offenbaren, wie viele Jahre sie leben würden. Welche anderen nützliche Dinge sie erzählten, das ist unglaubwürdig zu sagen.
Aus: Johann Hartlieb: Historie von dem großen Alexander

Ausgewählt und frei übersetzt von Dr. Ewa Gossart

In den kultivierten Lebensräumen hat sich ein vielfältiges Wildleben erhalten, das diverse Freiräume der zivilisatorischen Infrastruktur nutzt, das Areale wie Erde und Luft bevölkert und so in teilweise symbioti-scher Koexistenz mit dem Mensch lebt. In den Lüften sind es neben den Insekten vor allem die Vögel, die allgegenwärtig sind, wenn sie in zykli-schen Abfolgen ihren die Art erhaltenden Tätigkeiten nachgehen. Einen besonderen Bezug hat der Mensch zu den Vögeln, da bei dieser Spezies die Lautäußerung ein wichtiges Medium im Sozialverhalten darstellt. Attrahieren andere Spezies ihr Gegenüber mit Größe, auffälliger Farbvielfalt (beispielsweise der Pfau mit seinem üppigem Gefieder), so ist bei den Singvögeln die Lautäußerung das Medium der Anziehung. Und, vorgetragen in periodischer Abfolge, wird ihr „Gesang“ vom Ohr des Menschen als Musik wahrgenommen. Allein der Umstand, daß ein Vogel der Proportion seiner Größe entsprechend in schneller Abfolge Pfeiftöne aneinanderreiht, suggeriert uns das Muster einer Melodie. Verlangsamt abgespielt oder als Sonagramm dargestellt, sind die einzelnen Figuren erkennbar. Für den Vogel sind es Konstellationen von Signalen, die er aus einem reichen Fundus angeborener Laute und Geräuschimitationen der Umgebung schöpft. So setzt sich eine Strophe des Vogelgesangs aus bis zu fünfzig verschiedenen Klangfiguren zusammen, die nicht nur aneinandergereiht, sondern auch überlagert rezitiert werden. Dafür verfügt der Star über zwei Stimmbänder, so daß er in der Tat zweistimmig singen kann.
Die Zeit des Werbens um eine Partnerin ist gemeinhin der Frühling, eine Jahreszeit, in der man die prächtigsten Gesänge einzelner Vögel hören kann. Im Sinne von „survival of the fittest“ versucht nun jedes Männ-chen, durch einen möglichst üppigen Vortrag, der mit allen erdenklichen Facetten ausgestattet sein sollte, eine Partnerin anzulocken. Diese hört genau hin und bewertet den Gesang nach verschiedenen Kriterien. Für die gesunde Nachkommenschaft gilt es, den Besten zu finden: stark, gesund und erfahren. Ein beliebter Trick in der Tierwelt ist das „So tun als ob“. Allein als Schutzmaßnahme haben manche Spezies das perfektioniert und tarnen sich überzeugend als Ast, Blatt, Rinde oder nehmen die Farbe des Hintergrundes an. Der Star – wie auch alle anderen Singvogelarten – glänzt hier durch die Fähigkeit der Stimm- und Geräuschimitation. So flicht er die Rufe anderer Vögel in seine Gesangsstrophen ein, bis hin zu den Klängen eines Froschkonzerts oder dem Gegacker von Hühnern. Auch das Knarren der Bäume wird täuschend echt rezitiert. Kein Weibchen, das da widerstehen könnte… Die Stare lernen ihr ganzes Leben hinzu. Entsprechend ist der Gesang eines älteren Starenmännchens reicher an Material und Vielfalt (Variation) als der eines jungen.
Der unmittelbarste Berührungspunkt zu den Staren in Berlin ist die Ansammlung an deren angestammtem Schlafplatz am Berliner Dom auf der Museumsinsel. Eigentlich tun sich Stare immer in Gruppen zusammen, sobald die erste Brut ausgeflogen ist. In den Sommerwochen lernen die Jungtiere die Futtersuche, das Fliegen und das Singen vornehmlich vom Vater, da die Mutter mit der zweiten Brut beschäftigt ist. Zum Mittsommer ist auch diese dann ausgeflogen und die Zusammenkunft am Schlafplatz wächst bis auf 40000 Individuen an. Was wir hören, ist eine Kakophonie aus unaufhörlichem Gequatsche und Geschimpfe von den Ästen in den Wipfeln der Kastanien. Was dort aber tatsächlich zu hören ist, sind auch zitierte Fremdgeräusche aus der Umgebung, die ins Repertoire eingegangen sind.
Aufgrund dieser Tatsache kann der Star als selbstspielendes organi-sches Instrument angesehen werden, das aus natürlichem Antrieb eine Transformation urbaner Klänge vornimmt, diese im Vortrag zu variieren vermag und zweistimmig (mit stareeigenen Signalen kombiniert) rezitiert.
Das System ist einfach: Der Star sucht für die Brut einen abgelegenen Ort, denn kollektives Brüten erschwert die Futtersuche. Hier hält er sich so lange auf, daß er wiederkehrende Geräusche der Umgebung erlernen kann. Bei den im Wald brütenden Tieren sind es vermehrt Vogelstimmen, von denen der Star umgeben ist. In der Stadt überwiegen hingegen artenuntypische Klänge und Geräusche.
Wegen des hohen Wiedererkennungswerts wurde bereits mancher Mensch auf einen Star aufmerksam, der in seinem Gesang plötzlich ein vertrautes Telefonsignal oder den Sound eines Videospiels erkannt hatte. Der Vogel jedoch verbindet keine Sentimentalitäten zu natur-eigenen Klangbildern und unterscheidet nicht zwischen Martinshorn und Pirol. Was zählt, ist einzig die Vielfalt: je ungewöhnlicher desto besser. Zugute kommt dem Star hier, daß er ein Zugvogel ist und sich die Hälfte seines Lebens an einem anderen Ort aufhält. Hier kann er neue Umweltgeräusche kennenlernen und sein Gesangsrepertoire entsprechend erweitern. Hier ist es auch, wo die Jungtiere einzelne Phrasen aus dem Gesang des Vaters zu imitieren lernen und in ihr eigenes Repertoire aufnehmen.
Die Transformation nimmt also im Winterlager ihren Anfang. Hier erlernen die Jungtiere die von den Eltern rezitierte Imitationen und die arteneigenen Signale sowie die Klänge der dortigen Umgebung. Kehren sie dann zurück in ihre Brutgebiete, besteht ihr Repertoire aus dem in beiden Ländern erlernten Phrasen, die zunehmend und in scheinbar spielerischer Weise in immer neuen Variationen rezitiert werden. Da Stare außerhalb der Brutzeit immer Gruppen bilden, entstehen gruppeneigene Dialekte; jeder imitiert die Lautäußerungen von jedem. Je älter der Star ist, desto umfangreicher werden die Variationen. Das ist der Vorgang der Transformation. Je klarer die Sequenz strukturiert ist, desto größer ist der Wiedererkennungswert, auch noch nach Jahren.

Das Kunstprojekt UNITS ist eine Versuchsanordnung, mit der ein Bewußtsein über das Wildleben im urbanen Raum als organischer Transformator von Umweltklängen hergestellt werden soll. Es ist das Resultat meines Untersuchungsprojekts „Stare über Berlin“, für das ich im Jahre 2003 ein Klangkunst-Stipendium vom Berliner Senat für Wissenschaft, Forschung und Kunst bekommen habe.
Mit einem gezielten Eingriff in den Kreislauf dieser Transformation soll das Bewußtsein geschärft werden. Der Eingriff besteht darin, den Staren an ihrem Brutgebiet gezielt eine Klangfolge zu lehren. Dafür sind die „Units“ mit einem Chip ausgestattet, auf dem eine Klangfolge gespeichert ist, die von einem Vogel selbst ausgelöst werden kann.

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Eine Unit mit dem auditiven Logo neben einer Bruthöhle in einer Wandisolierung, die von einem Starenpärchen bewohnt ist. Berlin-Wedding, 20. 4. 2004.

Mit einem gezielten Eingriff in den Kreislauf dieser Transformation soll das Bewußtsein geschärft werden. Der Eingriff besteht darin, Stare an ihrem Brutgebiet gezielt eine Klangfolge zu lehren. Dafür sind die Units mit einem Chip ausgestattet, auf dem eine Klangfolge gespeichert ist, die von einem Vogel selbst ausgelöst werden kann.
Die Units gleichen einem Brutkasten und werden in der Nähe einer potentiellen Bruthöhle angebracht. Das Dach ist ein Solarpaneel, das Einflugloch ein Lautsprecher und der Landeast ein Schalter, der die Sequenz auslöst, sobald sich ein Vogel auf dem Ast niederläßt. Synchron zu dem Klangereignis leuchtet eine Anordnung von bunten Lämpchen nach einer an das Klangereignis angelehnten Choreographie (siehe schematische Darstellung). Die Anordnung der Lämpchen und die Choreographie unterscheiden sich voneinander je nach Charakter der auditiven Sequenz. Durch die Zuordnung eines visuellen zu einem auditiven Ereignis soll die Memorisierung des Gesamteindrucks optimiert werden.
Der Vogel muß ein solches Unit selbständig entdecken, um es anzunehmen und schließlich spielerisch zu nutzen. Dafür muß ein solches Element rechtzeitig in der Nähe einer potentiellen Bruthöhle angebracht sein, bevor ein Star auftaucht, um sein zukünftiges Terrain zu untersuchen. Es wäre ein Erfolg, wenn im nächsten Jahr ein Jungvogel an den Ort seiner Geburt zurück käme und sich aus seinem Gesang, vorgetragen zum Zweck der Gebietsmarkierung, jene Units-Sequenzen des Vorjahres heraushören ließen. Um die Chance eines Wiedererkennens zu erhöhen habe ich möglichst prägnante Sequenzen ausgewählt. Hier lassen sich vergleichbare Parameter ansetzen, wie sie auch für die Eingänglichkeit in das Kurzzeitgedächtnis des Menschen angesetzt werden können. Als besonders gut geeignet schienen mir prägnante auditive Phrasen von Jingles.

Sie sehen aus wie Brutkästen. Setzt sich ein Star auf die Stange, ertönt eine auditive Phrase von ein bis zwei Sekunden Länge, begleitet von einem darauf choreographierten Lichtspiel verschiedenfarbener Leuchtdioden. Bislang sind fünf  Units mit verschiedenen Audiosequenzen und LED-Anordnungen konstruiert. Die audiovisuellen Einheiten sind Solar betrieben und in der unmittelbaren Nähe einer Bruthöhle angebracht. So haben die Vögel die Möglichkeit, vor dem Einstieg und Ausflug darauf zu landen. Die Stange wirkt wie ein Schalter, und sobald ein Star darauf sitzt, läuft die audiovisuelle Sequenz. Der Vorgang wiederholt sich, solange das Tier dort verweilt. Im kommenden Jahr wird zu beobachten sein, ob die Melodie im Frühjahrsgesang zu erkennen ist, was voraussetzt, daß die Tonfolge memorisiert wurde und Einzug in das Gesangsrepertoire erhalten hat. Zu beobachten sein wird auch, ob die Jungen im winterlichen Exil besagte Sequenz vom Vater erlernt haben und ebenfalls rezitieren.