Stare

Jutta Konjer

papagenos
Papagenos Erben 2004
kroko, Jutta Konjer, Manfred Kroboth

Vogelkunde war immer ein Ausdruck für den Neid des Menschen auf die Fähigkeit des Fliegens und für seine Sehnsucht, wissen zu wollen, wie die Welt vom Himmel gesehen ausschaut.
Schwebende Vögel über der Menschen Häupter gehören dem Luft- und Lichtreich an und werden zum Symbol dieser Sphären und der als in ihnen wohnend gedachten Götter, Geister und Seelen. Wie Phönix ging die Seele durch das Feuer und wurde mit Schwingen wiedergeboren. Die Seelen der christlichen Heiligen stiegen als weiße Tauben bei der Heilssprechung in den Himmel auf. Wegen ihrer schwarzen Farbe gelten Stare als Unheilverkünder wie Krähen und Amseln. Selten sind Stare ganz schwarz. Gewöhnlich ist das getupfte Tier am ganzen Leib mit zahllosen weißen Flecken übersät. Stare fliegen in ganzen Wolken und schützen sich wie Dohlen und Tauben vor gierigen Raubvögeln. Als Frühlingsboten galten die Singvögel, die dem Bereich des Apollo und der Aphrodite nahe standen. Sappho sieht den Wagen der Aphrodite bespannt mit Sperlingen durch die Lüfte fliegen. Bei Horaz gleitet die Liebesgöttin mit purpurnen Schwänen über die Meereswogen. Stare fliegen in Scharen in einem rundlichen Schwarm. Abends machen sie untereinander ein großes Geschwätz. Nach Plinius lernten Stare, Raben, Nachtigallen, Blaudrosseln viele Kunststücke. Ihre Stimme hieß passitare – „haufenweise zwitschern”. In der antiken Literatur wird des traurigen Gesangs der Vögel gedacht. Die Metamorphosendichtung führt die Entstehung der meisten Vogelarten auf betrübte Anlässe des menschlichen Lebens zurück. Singen Stare und Lerchen lustig, wenn im Frühling noch einmal Schnee kommt, so bleibt er nicht lange. Wenn Stare vierhundertköpfig in Gärten und Saatfeldern einbrachen, richteten sie manchmal riesigen Schaden an und reizten den Landmann zu schonungsloser Verteidigung.

laube
Laube Ausstellung Herbstvogel
Köln, 1997

Besonders im Herbst wurde mit allen Mitteln die Vogelstellerei betrieben, um Leckerbissen für die Tafel zu gewinnen. Kindern gibt man Starherzen zu essen, damit sie klug und gelehrig werden. Wer Singvögel tötet, hat kein Glück mehr. Stare im Traum gesehen, bedeutet ein im Felde liegendes Kriegsvolk. Fliegen Stare früh in Haufen, langsam gedrängt oder kehren sie während des Fluges um, zeigt sich Unwetter an. Die Treue des Stares wird im Volkslied vom Star und dem Badewännlein ausgedrückt. Am Vogelgesang entzündete sich die Phantasie der Lyriker. Stare lernten Wörter und Melodien nachzuahmen wie Raben und Papageien. Damit das Kind eine schöne Stimme bekommt, gibt man ihm das Fleisch eines Singvogels zu essen. Vögel, die zu früh singen, frißt die Katze gern. Die Sage von einem Mann (Buben) ist verbreitet, der vor dem Ausnehmen eines Starennestes versprach, den schönsten Vogel Gott zuliebe fliegen zu lassen. Da er sein Versprechen nicht hielt, fiel er vom Baum und war tot. Im Bild des Vogels können Tod und Unsterblichkeit symbolisiert werden. Die Vorstellung vom Vogel auf dem Weltbaum wurde als „Vogel auf der Stange” zum Macht- und Herrschaftszeichen. Sitzen Stare hoch, so ist schönes Wetter in Aussicht.
aestelogieDa die Vögel frei zwischen den Bereichen der Erde und des Himmels hin- und herfliegen konnten, wurden sie überall als engelhafte Boten angesehen, die Omen verkündeten, okkulte Geheimnisse kannten und die Seelen transportierte. Aaskrähen und Geier trugen Seelen zum Himmel, Störche brachten sie zur Wiedergeburt auf die Erde zurück. Weiße Eulen verkündeten die Geheimnisse der Nacht, sinnliche Tauben und Nachtigallen erzählten die Geheimnisse der Liebe. Engelsgleiche Adler prophezeiten die Zukunft. Der Star war wegen seines Auftretens in dichten Scharen gefürchtet. In der Unterwelt tragen die Toten ein Federkleid wie die Vögel. Durch die magischen Federkleider der Göttin Freya waren die Zauberer in der Lage, wie Vögel durch die Luft zu fliegen. Die kunstvolle Federbekleidung der Maya- und Aztekenpriester ermöglichte ihren Trägern die Seelenflüge.